19. September 2012: Kobugi und Gutenberg zum x.ten

Heute war unser erster richtiger Arbeitstag. Schliesslich sind wir ja zum Arbeiten und nicht für Ferien und Plausch hier . . .

Am Morgen konnten wir unseren Stand einrichten, was gestern noch nicht fertig gelang. Zwar kam immer noch kein Strom durchs Kabel (es liegt also nicht am auch noch immer fehlenden Steckeradapter), eine neue vollere Gasflasche kam auch noch nicht, der Bildschirm für unsere verschiedenen Videos wurde auf den Nachmittag versprochen. Aber sonst nimmt die Werkstatt langsam Gestalt an. Die Drucke auf der Handpresse gelangen langsam (die Schweizer Druck-Farbe hat am 98%-Luftfeuchtigkeit und sehr heissen Herbstklima nur bedingt Freude), aber zunehmend besser, das Blei im Kocher schmolz mit einiger Verzögerung doch langsam, auch auf kleiner Flamme und dann kam auch noch die bestellte Vitrine für unseren schönen Bucheinbände. Eine tolle, klimasichere, abschliessbare Flachvitrine, dass wir wohl die vielen Bücher nicht jede Nacht ausräumen müssen.

Und dann ging’s los: offenbar war die Festivaleröffnung (die wievielte ?) geschehen, denn plötzlich stürmten hunderte, wenn nicht eher tausende von Kindern und Jugendlichen das Tempelgelände und wurden von Werkstatt zu Werkstatt geführt. Europa, so schien uns, scheint auch da zu faszinieren. Der Reiz des Exotischen. Oder weil europäischer Druck so überraschen schnell gelingt (im Gegensatz zu den asiatischen Bürstenabrieben. Der Renner war aber die Giessmatrize mit einer asiatischen Schildkröte. Nun wissen auch wir, was Schildkröte auf Koreanisch heisst. Kobugi. Kobugi, Kobugi, Kobugi, so schreien die Kindern wie wild. Kobugi ist das Symbol für langes kräftiges Leben. Und wenn man jemanden eine Kobugi schenkt, dann wünscht man ihm sehr direkt und verbindlich langes Leben. Etwas später kam auch die Direktorin des Schnapsmuseums an den Stand, die wir am Vorabend kennengelernt hatten. Sie war derart gerührt und bekam Tränen in den Augen, als wir ihr eine Kobugi = langes Leben schenkten. So anders sind die Kulturen. Zum Realsymbolismus später noch etwas mehr.

So ging es bis Mittag – eine durchschnittliche Führung dauert etwa fünf Minuten und nicht dreissig, wie wir mal geplant haben. Und wehe, wir gaben einem Kind einen Druck oder eine Kobugi-Letter, dann war der Teufel los am Stand, weil dann alle eins wollten. Mussten wir schnell aufhören und nur noch der Lehrerin (Lehrer hatten wir nur einen einzigen gesehen) je ein Exemplar fur die ganze Klasse mitgeben.

Am Mittag war’s dann plötzlich still und wir gönnten uns eine Pause mit Nudelsuppe. Am Nachmittag ging’s dann ähmlich stürmisch los, aber nicht mit Kindern, sondern mit Fernsehteams. MBC, KBS, BJc und wie sie alle heissen. Die mediale Präsenz ist unglaublich gross: auch da könnte sich Europa noch ein gewaltiges Stück abschneiden. Und die stellten Fragen. Was das Jikji-Buch für uns bedeute, war grad noch die einfachste.

Und dann stand plötzlich Dr. Lee, der Oberkurator des Museums in unserem griechischen Tempel, mit einem deutschen Gutenberg-Buch unter dem Arm und begann uns zu lochen, wie denn nun genau die Beweislage sei, dass Gutenberg das ganze im Westen erfunden habe. Und dann begann er plötzlich, das Gutenberg-Portrait im Buch (immerhin 100 Jahre nach Gutenbergs Tod entstanden . . . ) mit einer Abbildung eines Giessers aus den Jost-Ammann-Holzschnitten von 1568 zu vergleichen. Der Giesser trug ein flaches Perret, während Gutenberg in der posthumen Darstellung eine (bergförmige: ‚Gutenberg‘) Mütze mit Pelzbesatz, wie sie damals im gehobenen Bürgertum Mode war, trug. Dr. Lee: in der Mongolei trage man solche Mützen, weshalb bewiesen sei, dass Gutenberg bei den Koreanern war und ihnen die Idee des Lettern-Giessens gestohlen habe. Frei nach Riccola: wer hat’s erfunden ? Nun, dagegen kommt westliche wissenschaftliche Redlichkeit eben nicht an. Als wir ihm aber versicherten, dass die strenge Beweislage für Gutenberg in fast allen Fragen sehr dürftig sei, war er zufrieden. Somit konnte Gutenberg also ohne Probleme bei den Koreanern gewesen sein. Wir sind ja auch bei den Koreanern gelandet. Und wie !

Wir haben ja gar nie daran gezweifelt, dass die Koreaner vor Gutenberg Einzel-Letter-Druck hatten. Doch mit deren Bronzelettern hätte Gutenberg auf seiner präzisen Druckerpresse nie einen einzigen Druck hingekriegt, derart verschieden ist die Höhe der einzelnen koreanischen, grob gegossenen Bronze-Buchstaben . . . Solches kann man nur mit hauchdünnem Maulbeerbaumpapier abklatschen. Dummerweise sind Gutenbergs Setzlinge, die er ja vielleicht mitgenommen hat, im eurogäischen Winter erfroren. Und er musste doch das europäische System erfinden. Sorry für meinen nächtlichen Zynismus.

Ein anderes spannendes Beispiel war ein kurzer Besuch am Stand des koreanischen Bronze-Schriftgiessers. Eine Frau ist da zuständig, aus Holzklötzlein die Buchstaben zu schnitzen, die dann in die Sandform gelegt werden. Sie hat uns aus einem Vorrat je eine wunderschöne Letter mit einem grossen, hochkomplizierten Buchstaben hergerichtet und dazu noch je einen Holzbuchstaben. Wir haben uns sehr dafür bedankt und dann für alle am Stand eines unserer Gutenberg-Sackmesser geholt. In der Zwischenzeit wurde auch der Giessermeister Lee, der gerade eine Pause am Schatten machte, geholt. Hans-Ueli hat dann noch gefragt, was seine Letter heisse. Herr Lee hat sie eine Weile angeschaut, dann den Kopf geschüttelt, offenbar hiess das Zeichen etwas zu wenig positives, und hat sie wieder weggenommen. Er hat dann lange in seinem Schächtelchen gesucht, bis er etwas positiveres fand: Hans-Uelis seins zum Beispiel „Weg“. Das war dann gut, auch wenn’s graphisch viel, viel banaler war. Als Hans-Ueli noch nach einem ungeschnitzten Holzletter, wo erst die Vorzeichnung drauf war, fragte, ging das gar nicht, denn das ist ja noch gar kein Buchstabe, hat also auch noch keine geistige Bedeutung. Und ein Nichts kann man ja nicht jemandem schenken. Die geistige, realsymbolische Bedeutung ist eben wichtiger als der molekulare Gegenstand. Deshalb ist es auch kaum ein Problem, dass fast alle Museen mit einer grossen Anzahl von (sehr perfekten) Replikas vollgestopft sind.

Nur beim Jikji-Buch muss es das molekulare Original sein: da reichen ihre Replicas nicht hin. Nun hat Frankreich offenbar kürzlich beschlossen, dass das Buch gar nie mehr das Land verlassen dürfe, auch nicht für eine andere (nicht-koreanische) Ausstellung im Ausland.

Der Kampf des Koreanischen Staates geht übrigens soweit, dass in allen wichtigen Landern der Welt ein Jikji-Botschafter (ein Ehrenposten) bestellt ist. Ziel klar. Kein Realsymbolismus.

Der Organisationschef des ganzen Festivals (knapp über 30 !) lud uns dann noch zum Znacht in einem einfachen koreanischen Restaurant ein. Schmeckte ausgezeichnet. Der Rücken schmerzte infolge verrenkten Schneidersitzes (schliesslich wollte man ja das weisse Hemd nicht mit Chilisauce vollkleckern) ebenso kräftig. Und unser Dolmetscher Rayan fuhrte uns noch durch die wichtigste Einkaufsstrasse der Stadt. Konsumhorror pur. Wo das hinführt ?

PS: Strom kam übrigens am Nachmittag plötzlich: wir vermuten, dass jemand vergessen hat, das Verlängerungskabel im Museum einzustecken. Einen Bildschirm für die Projektion unserer tollen Videos haben wir immer noch nicht. Wurde auf morgen versprochen.

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