Der Taifun ist weiter das beherrschende Thema. Heute wäre vorgesehen gewesen, Meister An in seiner Werkstatt zu besuchen. Er ist Meister für das traditionelle handgeschöpfte Maulbeerbaumpapier und wohnt knapp 1 1/2 Autostunden vor der Stadt. Da die Strasse dorthin leider durch die Hügel führt und erst noch teilweise Naturstrasse ist, weigerten sich alle angefragten, mit uns dorthin zu fahren. Statt dessen schlossen wir uns den Museumsdirektoren an, die zum Internationalen Wissenschaftlichen Kolloquium im Early Printing Museum fuhren. Von 10 bis 12 sassen wir also im Auditorium inmitten hunderter koreanischer Studenten und liessen die ritualisierte Litrgie zelebrierter Wissenschaftlichkeit über uns ergehen. Der begrüssende Oberbürgermeister entschuldigte sich gleich wieder, auch fürs Nachtessen, zu dem er einlud. Er musste den Taifun-Krisenstab leiten gehen. Die folgenden Referate zum Thema ‚Zur Rechtfertigung gedruckter Medien im Zeitalter der Digitalen Medien‘ zeigten vor allem die komplete Unfähigkeit der Referenten zu einer lernprozessanregender Kommunikation. Einer schlug dem Fass den Boden aus, als er sein englisches Skript Abschnitt für Abschnitt projezierte und eine halbe Stunde lang mit unverständlich müselnder Stimme je die ersten etwa 1 1/2 Zeilen vorlas und dann nahtlos zum nächsten Abschnitt sprang. Der Inhalt war zum Glück belanglose Allgemeinplätze. Statt ganz wegzudämmern wie das halbe Auditorium nutzte ich die Zeit zum Blog-Schreiben, also digitale Kommunikation im Zeitalter immer noch von Hand gedruckter Bücher.
Der einzige Wert solcher Veranstaltungen ist für uns der Kontakt zu wichtigen Personen wie zum Beispiel der neuen Direktorin des Gutenberg Museums Mainz. Unsere gezeigten Drucke, Bücher und Bucheinbände erfuhren schöne Anerkennung.
Zum Mittagessen sollte es zu Fuss gehen, die Stadt fast menschenleer, dafür dichtester Regen und Böen. Doch der 400km-Taifun liess zum Glück noch auf sich warten, im Gegensatz zur Nachbarstadt, die böse überschwemmt wurde, wie das teilweise wieder funktionierende Fernsehen zeigte. Nach dem Mittagessen in einer Art Grossadtkantine (wobei ich gerne die für das koreanische Publikum vorgesehenen Töpfe dem für uns vorgesehenen Schnitzel vorzog) hat unsere Koordinatorin Chin Im organisiert, dass wir den koreanischen Meisterbuchbinder Hun besuchen durften. Es folgten zwei glückliche Stunden in einer fremden und doch so nahen Welt. Staunen über den Umgang mit dem traditionellen hauchdünnen Papier, das oft in vielen Schichten verleimt wird. Staunen über den Stärkeleim, der 10 Jahre in Tontöpfen im Hof des Meisters faulen muss , damit er im Papier keine Reaktionen anregt und die vielen Insekten nicht zum Papierfrass anregt. Staunen, dass einer erst nach 25 Jahren Üben Meister wird (und erst, wenn er 10jährigen Leim hat). Staunen über hochkomplexe halbrunde Buchbindeformen. Staunen, wie man mit Bohnenstärkeleim Bucheinbandpapier wasserfest hinkriegt (im Taifunwetter nicht ganz unwichtig), die erst noch mit einfachen Holzdurchrieben ab geschnitzten, familienfestgelegten Musterplatten verziehrt wurden. Und staunen, dass der offizielle Fototermit vor einem blumenbemalten langen Paravent stattfand, der zuvor im Königspalast statt und den Meister Hun restaurierte. Und staunen, dass auch hier das traditionelle Handwerk auf dem Rückzug ist und nur noch dank Buchrestaurationen aus buddhistischen Tempeln und Regierungsunterstützung überleben kann. Ausgang ungewiss.
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