Sonntag. Unser letzter Tag in Korea. Die vergangenen zwei Wochen kommen uns in ihrer Dichte von Begegnungen und Erlebnissen wie mehrere Ewigkeiten vor. Heute also unser letzter Arbeitstag. Vom Morgen an lastet, dass wir abends un 6 unsere Box versandbereit geladen haben sollten. Das Festival dauert bis 5. Der Bleitopf braucht3 Stunden zum Abkühlen.
Sonntag. Ruhetag. Auch in Korea. Unser Dolmetscher erzählt uns: länger schlafen, in der Familie gemütlich zmörgele, dann ein Familienausflug. Fast wie bei uns. Weshalb den Familienausflug also nicht zum Jikji-Festval ? Mit Pop-Konzert. Uns sie kamen noch einmal. Und alle woolten noch eine Kobugi-Letter, als hätten sie gehört, dass heute die letzte Gelegenheit sei. Und den Jikji-Druck. Oder lieber gleich zwei. Wir gossen und druckten wie die Verrückten. Bis am Mittag. Dann wollten wir mit dem ‚gestaffelt geordneten Rückzug‘ beginnen. Was nicht ging. Immer noch materielle Begehrlichkeiten. Ein Mann ist mir sogar hinter die Abschrankung gestiegen und hat die Letternsätze, die ich als letzte Geschenke für das Abschiedsbankett mit dem Festivaloberdirektor bereitet hatte, geplündert. Nun, wir haben auch koreanische Lettern und Holzdrucke erbettelt.
Um 15 Uhr war dann definitiv Schluss. Plache am einen Zelt runter, Hans-Uelis Prachteinbände gepolstert gepackt (die kommen ins Handgepäck; wir hatten zuviele Schauergeschichten von verlorenem Gepäck gehört), Bleitiegel abgestellt. Und dann die hunderttausend Teile wieder eingepolstert. Und dann mit dem Füllen der Box begonnen. Schön von unten. Alles ging perfekt rein. Das restliche Blei, die Druckfarbe und das wenige übrige Papier lassen wir zurück. Und den Babypuder . . . Verteilt sind auch einige hundert Tourismus- und Werbeprospekte.
Das Bankett ist auf 20 Uhr angesetzt.
Giessermeister Lim schaut einige Male etwas ungläubig vorbei. Dass das alles in diese Box ging. Und dass wir selber Hand angelegt hatten. Und sogar die schwere Presse selber hineingehoben. Er scheint ganz vergessen zu haben, dass wir kein Koreanisch können, so selbstverständlich spricht er mit uns. Koreanisch.
Dann hiess es plötzlich, wir würden um 18 Uhr noch zu ihm fahren, wir seien zur Werkstattbesichtigung eingeladen. Es liege etwa 1 Stunde ausserhalb. Wir arbeiten noch schneller. Der helvetische Grind rechnet in der Zwischenzeit: 18 bis 20 Uhr minus 2 x 1 Stunde Fahrzeit (in der Zwischenzeit kennen wir koreanische Zeitangaben): das gibt etwa minus 20 Minuten für die Werstattbesichtigung. Um 18.04 ist die letzte Schraube eingedreht. Der versprochene Gabelstapler kam nicht. Dafür der Festivaloberchef. Hans-Uelinoch beim Händewaschen. Der Oberchef beginnt und dankt uns für alles. Und als Zeichen des Danks überreicht er uns zwei Faksile-Exemplare des Jikji-Buches in prächtiger Brokatkasetten. Und bittet uns, das älteste datierte mit Lettrrn gedruckte Buch auch in der Schweiz bekannt zu machen. Dazu legt er auch gleich Plakate und einen Ehrenschal bei. Wir sind aufs tiefste gerührt. Die Übergabe von Jikji-Faksimile ist sonst eher etwas für politische Staatsgäste.
Und dann folgten noch zwei der 1377 Laternen.
Und dann durften wir sogar noch dem Kurator Lee (von den oberen Museumsleuten hatten wir sonst die Woche durch eher wenig gesehen) zum zweiten Mal unser Kristall-Jikji-Buch für das Museum übergeben. Und er durfte es für das Erinnerungsfoto halten. Hoffentlich ist die Welt jetzt in Ordnung.
Und dann hiess es, das Bankett sei gecancelt. Wir würden zu Meister Lim fahren. Während der 80-minütigen schnellen Fahrt regelte er alles mit 2 Dutzend Handy-Anrufen. Und dann entschuldigt er sich, in seinem Dorf gebe es nur ein Restaurant. Und da nur gegrillter Schweinebauch. Mit Bombe. Was es alles gab, diesmal sogar auf Kohle gebrutzelt. Nur mein Magen fand, das sei nicht gerade das geeignete Fastenbrechen nach den vornächtlichen Eskapaden. Und dann fuhren wir in Mister Lims Werkstatt. Ein chaotisches Handwerkerparadies, wo er seine Bronze-Lettern giesst. Die mit Holzmodel, diee wir schon kennen. Und dann noch welche im verlorenen Guss. 50 chinesische Zeichen schafft er pro Tag, in Wachs zu schneiden. Am Giessbaum sind hundert dran. Am unhüllenden Lehm der Form tüftelte er 10 Jahre lang. Den Brennofen für die Tongiessformen beheizt er nur mit Holz. Und schafft da dank spezieller Luftführung Temperaturen von 1300 Grad. 8 Stunden lang. Wir staunen und staunen. Und werden wieder kommen. Dann aber nicht am letzten Abend.
Dann melde ich unser Bedürfnis ims Hotel an. Wir müssen ja noch packen und morgen früh raus.
Wir steigen also ins Auto, fahren grad einen Kilometer weit, dann steil den Hügel hoch. Hundegebell, zwei Häuser mit gerundeten traditionellen Dächern. Es ist Meisters Ans Paradies. Der Hanji-Papiermacher. Hanji ist der seit Jahrtausenden bewährte Maulbeerbaum, aus dessen Bastfasern dieses hauchdünne zähe Papier gefertigt wird. Und dann sind wir drin im Papierschlaraffenland. Stapel voll wunderprächtig gefärbtem hauchdünnem Papier, einiges davon mit Reliefs drauf, die aus einem Reisbrei aufgebacken werden. Quasi zweidimensionales Popcorn, mit traumhaften Mustern. Und Kleider. Und Gestricktes aus Papierschnüren. Und Möbel. Und Körbe. Sogar wasserfeste Schalen aus Hanji-Schnüren. Und dann noch schnell in seine Plantage mit 300’000 Sträuchern. Im nächsten Frühjahr sollen Wurzeln davon in die Schweiz kommen; vielleicht gedeiht diese verrückte Pflanze auch hier. Wir suchen noch einen geeigneten warmen Garten (=wärmer als Vättis).
Und dann war da noch die Direktorin des Schnapsmuseums. Sie ist extra hierhergekommen, mit zwei gekühlten Flaschen ihres Omyja-Weines, eines traditionellen Früchte-, Beeren- und Kräuterweines und -champagners. In der Koreanischen Küche sollen 5 Geschmäcker vertreten sein: Süss, salzig, sauer, scharf und bitter. So auch in ihrem Wein. 30 Jahre hat sie an der Rezeptur getüftelt. Weil aber nur Pappbecher für alle und keine Gläser da waren, steckte sie uns die zwei Flaschen kurzerhand zu, für später.
Und dann ab ins Hotel, wo wir nach Mitternacht eintrafen und von einem Riesenhundertfüssler im Lift begrüsst wurden. Und dann schnell (= 1 1/2 Stunden) Koffer gepackt, all unsere hundert Preziosen fein in die vier Koffer sortiert, nach Gewicht und Gefahrenverlustpotential verteilt. Der Omyja-Champagner fand beim besten Willen keinen Platz mehr. So haben wir ihn in unseren Bäuchen für den Flug vorbereitet, ohne Gewichtslimite. Eigenartig, ein salzig-scharfer- und vor allem bitterer Champagner. Eigenartig wie vieles in den vergangenen zwei Wochen. Exotisch. Fremd. Und doch in so vielem vertraut. Freundschaftlich. Herzlich. Zuvorkommend.
Und dann blitzschnell und hochkonzentriert schlafen gehen. Es bleiben vier Stunden.